Subjektivierungsmaschinen: Sinnfindung im digitalen Kapitalismus

Die Frage nach der Konstitution von Subjektivität gehört zu den Kernproblemen der Philosophie. Christine M. Korsgaard beispielsweise benötigt Subjektivität in Form von praktischen Identitäten als Grundlage für ihre These der reflexiven Selbstbindung an normative Gründe: Der Mensch wird durch die Fähigkeit, sich selbst in Beweggründe einzuschreiben, zum moralischen Wesen. In einer durchdigitalisierten Gesellschaft lässt dieses Modell in mir jedoch Zweifel aufkommen. Praktische Identitäten entstehen nicht mehr allein aus autonomen Selbstbindungen, sondern in kuratierten, ökonomisch vermittelten Öffentlichkeiten. Likes, Algorithmen und Feedbackschleifen externalisieren Reflexivität, normieren Aufmerksamkeit und unterminieren die Idee einer integrativen Identität – sichtbar im Leben äußert sich dies in gesellschaftlichen Bubbles, modular fragmentierten Selbstentwürfen und psychorealen Wirklichkeiten[1].

Diese maschinelle Formatierung von Subjektivität lässt sich mit Félix Guattaris Modell der Subjektivierung besser fassen. Für Guattari ist das Subjekt kein autonomes Zentrum, sondern Effekt heterogener Assemblagen aus sozialen Praktiken, semiotischen Flüssen, medialen Dispositiven und ökologischen Relationen. In den drei ökologischen Bereichen – Umwelt, Sozialität, Mentales – wird Subjektivität fortwährend neu zusammengesetzt. Unter Bedingungen des heutigen digitalen Kapitalismus, in dem Zeichen, Daten und Affekte zentrale Verwertungsressourcen sind, erscheinen Plattformen wie Instagram, TikTok oder LinkedIn als semiokapitalistische Subjektivierungsmaschinen: Systeme, die Subjektivität über algorithmische Logiken, Affektökonomien und ökonomisierte Sichtbarkeit hervorbringen und zugleich standardisieren.

Mit dieser Verschiebung verändert sich auch die Weise, wie Sinn erfahrbar wird. Subjekte suchen ihn nicht mehr in verbindlichen Gründen, sondern im Rausch digitaler Plattformen und konsumistischer Praktiken. Was zählt, ist nicht Wahrheit, sondern die affektive Stimmigkeit eines für mich Guten. In einer Kultur des Rausches, der digitalen Stressoren sowie der moralischen Ermüdung durch dauernde mediale Apellierung ist dieser Sinn nicht von langer Dauer. Die Suche nach Orientierung kippt in die Suche nach Anschlussfähigkeit: weniger nach Wahrheit oder moralischer Geltung, mehr nach Sichtbarkeit, Resonanz und affektiver Bestätigung. Der digitale Kapitalismus prägt damit die Bedingungen dessen, wie Sinn überhaupt gefunden, erfahrbar und lebbar wird.

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Von Natur aus künstlich?